Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen

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Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen

Beitragvon elRey am 19.09.2018, 11:49

Erst mal muss ich zugeben: wir haben gesündigt!

Bei einem Spaziergang am 6. Juli dieses Jahres haben wir am Waldrand einen Schneckenkönig (Weinbergschnecke Helix pomatia) entdeckt und mit einer anderen, "normalen" Schnecke nach Hause mitgenommen, zunächst ohne zu wissen, dass dies eigentlich nicht erlaubt ist. Man kann aber sowieso nicht widerstehen, wenn man weiß, wie selten die Könige sind. 1 zu 10.000 oder 1 zu 100.000 ... egal: statistisch gesehen war der Schneckenkönig bestimmt der einzige im weiten Umland von München. Also haben wir ihn jetzt zuhause, in einem kleinen Aquarium, liebevoll mit kalkhaltigem Kokoshumus ausgestattet und mit einem Radieschen dekoriert :-)

Vor etwa 5 Wochen, am 14.-15. August, haben die Schnecken stundenlang Liebe gemacht. Mit einer Schlafpause in der Mitte des Sex-Marathons dauerte es bestimmt 40 Stunden. Vor 2 Wochen probierten sie es noch einmal, wobei der König sichtbar der aktivere war. Es hat nicht so lange gedauert.

Ich dachte dabei: schade, dass zwischen einem Schneckenkönig und einer normalen Schnecke das alles mit Sicherheit umsonst ist! Anatomisch bedingt können sie sich eigentlich gar nicht richtig paaren..

Dachte ich!...

In den letzten Tagen waren die beiden oft tagelang kaum mehr auf der Oberfläche zu sehen. Immer wieder gruben sie sich ein.

Gestern dann DER SCHOCK: die Partnerin des Königs (also die "normale" Schnecke) legt Eier! Ein eher kleines Gelege komplett sauber unterirdisch angelegt (durch die Scheibe gut zu sehen), die restlichen kullern aus der Schnecke an der Erdoberfläche.

Heute früh ist sie damit fertig.

Die 15 bis 20 Stück haben wir nun ebenfalls in einer von uns gemachten Bruthöhle deponiert.

Aber was jetzt? .....

Ist es überhaupt möglich, dass wir nicht nur einen extrem seltenen Schneckenkönig gefunden haben, sondern jetzt auch noch Zeugen des so gut wie unmöglichen Vorgangs sind: erfolgreiche Paarung eines Schneckenkönigs mit einer normalen Schnecke?

Oder sind die Eier doch unbefruchtet? Die Zeit nach der Paarung - 5 Wochen - passt aber, oder?....

Oder sind die gar von einem anderen "Vater", mit dem die Schnecke noch vor dem 6. Juni (also vor über 10 Wochen) ein Randezvous hatte?

Und was machen wird nun weiter?... In den nächsten 3 Wochen bestimmt nur warten, aber dann? Was wenn doch noch "etwas" daraus schlüpft?...

Spannung steigt!

P.S.: die Glücklichen:
elRey
 
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon rnordsieck am 19.09.2018, 14:38

Hallo,

auf Wunsch melde ich mich hier zu Wort.
Ein paar Fakten vielleicht zur Vereinfachung des Sachverhaltes:
a) Es ist sehr wohl möglich dass linksgewundene Weinbergschnecken sich mit rechtgewundenen Weinbergschnecken paaren. Vermutlich müssen sie ein wenig herumsuchen, aber es klappt schon.
b) Linksgewundene Weinbergschnecken sind genauso artzugehörig wie andere Weinbergschnecken. Somit gibt es keinen Grund, warum die Eier nicht befruchtet sein sollten, außer den üblichen Gründen.
c) Es ist in der Tat sehr gut möglich, dass die Schnecke sich zuvor schon gepaart hatte (und danach). Sicher kann man also nicht sagen, dass die linksgewundene der Vater war, höchstens die Mutter. Heißt, es lohnt sich, die Gelege des Schneckenkönigs zu untersuchen.
d) Ich verstehe nicht, warum es für linksgewundene Schnecken schwerer sein sollte, sich zu paaren, über die normalen räumlichen Schwierigkeiten hinaus, sonst wären die links gewundenen Weinbergschnecken doch bereits ausgestorben.

http://www.weichtiere.at/Schnecken/land ... oenig.html

Ich hoffe, dieses war hilfreich,

habe die Ehre

Robert
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon Wassn am 19.09.2018, 15:23

Ich habe noch einen Punkt, der mir am Herzen liegt:

Da ihr nun wisst, dass dasEinsammeln von Weinbergschnecken verboten ist und der Herbst nun vor der Türe steht,
möchte ich euch daran erinnern, die erwachsenen Tiere wieder frei zu lassen.
Einsammeln oki... aber behalten, finde ich dann nicht in Ordnung. Schneckenkönig hin oder her.
Die Tiere müssen sich auch noch auf ihre Winterruhe vorbereiten. Dafür benötigen sie auch eine gewisse Zeit. In einem Zimmer mit gleichbleibenden Temperaturen ist dies nicht möglich.
Eine Schnecke wird immer einen Weg
zu deinem Salatbeet finden.
megalobulimus oblongus 8D
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon wolf am 19.09.2018, 15:29

Hallo,
das ist ja mal spannend. Ich fürchte aber, dass die Wahrscheinlichkeit für linksgewundene Exemplare in der nächsten Generation nicht allzu groß ist.
Die Mutter des gefundenen linksgewundenen Tieres muss ja den Genotyp dd gehabt haben (2 mal die Anlage für linksgewunden, das Allel d ist rezessiv). Der "Vater" (also das Tier, das die Samenzellen beigesteuert hat), wird wahrscheinlich den Genotyp DD gehabt haben (dieses dominante Allel ist ja viel häufiger als das Allel d). Damit hätte das linksgewundene Tier wahrscheinlich den Genotyp Dd. Mit diesem Tier als Mutter wäre der Nachwuchs durch die Bank rechtsgewunden. Alles andere wäre ein erstaunlicher Glücksfall (aber: kann ja vorkommen.......).
Liebe Grüße: wolf
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon wolf am 20.09.2018, 10:04

Hi,
habe gestern im Renovierungs-Gewusel vergessen, noch etwas zu ergänzen. In jüngerer Zeit wurde das Gen entdeckt, dass den Windungssinn steuert sowie das entsprechende Genprodukt, das Formin. Dabei bewirkt ein intaktes Formin einen rechten Windungssinn. Wenn das entsprechende Gen nicht mehr für ein funktionsfähiges Formin kodiert oder die Wirkung des Formins experimentell unterdrückt wird, entsteht ein linksgewundenes Gehäuse.
Bei diesem "matroklinen" Erbgang hängt das Erscheinungsbild (der Phänotyp) eines Tieres nicht von seinen eigenen Erbanlagen ab, sondern vom Genotyp der Mutter. Die Mutter produziert logischerweise Eizellen, die aber in ihrem Inneren (dem „Zytoplasma“) durch den Genotyp der Mutter vorgeprägt („praedeterminiert“) sind: das Zytoplasma dieser Eizellen ist also bezüglich seiner Zellteilungs-Richtung festgelegt, und das unabhängig davon, welche Allele in der befruchteten Eizelle dann zusammenkommen.
Wenn im obigen Fall - wie berichtet - das Muttertier das Exemplar mit dem normalen Gehäuse ist, werden die Nachwuchstiere mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit rechtsgewunden sein, denn der Genotyp der Mutter wird DD oder Dd sein und mit nur verschwindender Wahrscheinlichkeit dd.
Es wurde mehrfach berichtet, dass eine Paarung zwischen links- und rechtgewundenen Exemplaren bei einigen Arten schon problematisch sein kann. Sturtevant griff 1923 auf Daten von Radix peregra zurück, die den Vorteil hat, zur Selbstbefruchtung befähigt zu sein.
Liebe Grüße: wolf
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon Rasplutin am 25.09.2018, 21:56

Oh ja, super spannend!

Ich musste spontan an "Jeremy" denken, das war eine linksgewundene Cornu aspersum, für die in Nottingham ein ebenfalls linksgewundener Partner gesucht wurde, mit Erfolg:
https://www.bbc.com/news/uk-england-not ... e-41595706
https://en.wikipedia.org/wiki/Jeremy_(snail)

Leider waren sämtliche Nachkommen der beiden linksgewundenen Eltern RECHTSgewunden...
Das heisst, selbst wenn BEIDE Eltern linksgewunden sind, ist die Wahrscheinlichkeit immer noch sehr gering, dass sich diese Windungsrichtung vererbt.

Das hat mich an einen Artikel in "Nature" erinnert, der seinerzeit (2009) zwar hier im Forum erwähnt, aber leider zugequatscht wurde ( Schneckenkönige zum "selbermachen" ):
Reiko Kuroda hatte bei der Spitzschlammschnecke Lymnaea stagnalis durch Mikromanipulation während des Übergangs vom Vierzeller zum Achtzeller rechtsgewundene Schnecken zu linksgewundenen machen können, ganz ohne Genetik:
"Chiral blastomere arrangement dictates zygotic left–right asymmetry pathway in snails"
Meine Überlegung ist nun: Wenn das bei der Spitzschlammschnecke funktionieren kann, warum sollte es nicht auch bei anderen Schnecken möglich sein? Können linksgewundene Weinbergschnecken nicht auch "mechanisch" entstanden sein, z.B. durch eine Erschütterung zum richtigen Zeitpunkt?
Skalaride Gehäusefehlbildungen entstehen doch auch ohne genetischen Hintergrund (oder liege ich da falsch?).
Wenn es aber "genetische" Schneckenkönige und "mechanische" gibt, dann ist klar, dass die "mechanischen" ihre Windungsrichtung nicht weitervererben können.

Ich kann nicht schätzen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Vierzeller genau zum richtigen Zeitpunkt eine Erschütterung erfährt, die die Windungsrichtung ändert - das ist sicher ziemlich unwahrscheinlich.
So oder so - Schneckenkönige sind etwas besonderes.

P.S.:
Falls es jemanden ähnlich interessiert wie mich, hier ist ein Vortrag von Reiko Kuroda auf Youtube:
Mirror-image animals - mechanical manipulation and a point mutation
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon wolf am 26.09.2018, 11:54

Hi Rasplutin,
Du schriebst: "Leider waren sämtliche Nachkommen der beiden linksgewundenen Eltern RECHTSgewunden...". Tja, das ist bei dem putzigen Erbgang kaum anders zu erwarten, aber in den Folgegenerationen können (vielleicht) wieder sinistrale Exemplare auftreten.
Weiter: "selbst wenn BEIDE Eltern linksgewunden sind, ist die Wahrscheinlichkeit immer noch sehr gering, dass sich diese Windungsrichtung vererbt." Na ja, das Allel für diese Windungsrichtung vererbt sich schon weiter, ist aber im Phänotyp nicht erkennbar.
Es ist ja auch möglich, dass zwei rechtsgewundene Exemplare linksgewundenen Nachwuchs bekommen. Im Grunde ist der Erbgang ja sehr einfach, man muss nur den "Trick" kennen.......... .
Vielen Dank für die Erinnerung an die mechanische Manipulation, die den Windungssinn umdrehen kann.
Es gibt also (die "normalen") genetisch bedingten Schneckenkönige, die künstlichen, mechanisch bedingten Könige und (siehe oben, post vom 20.09.) die künstlichen, biochemisch bedingten Könige (durch experimentelle Inaktivierung des Formins).
Besten Dank für den youtube-link.
Vielleicht hören wir ja noch von unserem User-König (elRey), wie es denn nun weitergegangen ist.
Herzliche Grüße: wolf
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon Rasplutin am 27.09.2018, 21:53

Hallo wolf,

übrigens, in dem YouTube-Vortrag erwähnt Reiko Kuroda auch die Veröffentlichung von
Davison, A. et al.: "Formin is associated with left-right asymmetry in the pond snail and the frog" (2016)
Ab Minute 33:20" meint sie:
"Some incorrect paper appeared [and it] really embarrassed me."

Mir fehlt es an Wissen, um über das "Formin"-Thema mitreden zu können - die Arbeit von Davison habe ich mir zwar inzwischen herunterladen können, aber ich bin damit überfordert.

Noch einmal Kuroda:
"[Davison et al.] observed that a very small number of surviving embryos behaved like sinistral as they lost SD/SI, but that was followed by dextral type clockwise rotation.
Thus, it is difficult to accept that 'the anti-formin drug treatment converts dextral snail embryos to a sinistral phenocopy'."
Reiko Kuroda, Diaphanous gene mutation affects spiral cleavage and chirality in snails
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Re: Schneckenkönig: Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinliche

Beitragvon wolf am 28.09.2018, 09:55

Hi Rasplutin,
das ist ja super-spannend......... . Tausend Dank, dass Du Dich da so d´rum kümmerst. Ich stecke mit Neuaufbau des Dachstuhls und Haus-Renovierung im Chaos und da somit die Infrastruktur die Grätsche macht, kann ich immer nur kurz das schreiben, was ich aus dem hohlen Bauch weiß - genauer: zu wissen glaube. So ist auch keine Zeit da, irgendetwas nachzulesen und in der Literatur herumzugraben.
Vielen Dank für die links. Tja, es ist leider nicht selten, dass neue Ergebnisse anfangs umstritten sind und sich verschiedene Arbeitsgruppen beharken. Auf Dauer beruhigt sich das dann in der Regel, wenn geklärt ist, wer nun Recht hatte. Manchmal hatten auch beide jeweils ein bisschen Recht............ ;) . Die Zeit wird es zeigen.
In unserem vorliegenden Fall hat es ja keine künstlichen Beeinflussungen gegeben, so dass bestimmte biochemische Streitigkeiten keine Rolle spielen und nach meiner Kenntnis ist der grundlegende Vererbungsmechanismus beim Windungssinn unstrittig. Wenigstens das............ .
Jetzt muss ich buchstäblich dicke Bretter bohren.
Nochmals merci: wolf
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